Moral

Wozu Moral gebraucht wird.

Lieben kann ich nur wenige Menschen. Deshalb gehe ich mit anderen Menschen, die ich nicht kenne, moralisch um. Auf diese Weise können z.B. 80 Millionen Deutsche miteinander leben, ohne sich gegenseitig umzubringen. So ist Moral von großem Nutzen, denn wir fahren auf der rechten Straßenseite rechts mit einhundert Stundenkilometern aneinander vorbei, ohne uns umzubringen und kommen gut voran. Aber alle Autofahrer, an denen wir vorbei fahren, werden uns nicht zum Nächsten. So ermöglicht Moral Zusammenleben, aber Reduktion von menschlichem Zusammenleben auf moralisches Verhalten macht einsam und beziehungslos.

Heute werden die Zehn Gebote nicht mehr wie zu Jesu Zeiten als Liebesgebote verstanden, sondern moralisch. Sünde gilt als moralische Verfehlung und Buße als Wiedergutmachung. Damit ist Zugang zu Jesus und zu menschlichen Beziehungen versperrt. In der Bibel ist Sünde fehlende Beziehung zu Gott und dem Nächsten. Buße ist Wiederherstellung dieser Beziehung.

Das Denken unserer Zeit kennt den Nächsten nicht mehr und beschränkt sich auf Moral.
Sie ist konstruiert. Der Nächste lebt und ist Superlativ von Beziehung. Wer nicht in Beziehungen denkt, kennt den Nächsten nicht. Dazu gehören Philosophie, Sozialarbeit, Naturwissenschaften, Rechtswissenschaft und Theologie, wenn sie philosophisch denkt. Viele bedeutende wissenschaftlich-theologische Nachschlagewerke enthalten keine Artikel über den Nächsten. Das zeigt, wie weit Theologie von der Predigt Jesu entfernt ist.

Kirche befindet sich seit vielen hundert Jahren in einer Art humanistischer Gefangenschaft und kann sich daraus nicht befreien. Durch begriffliche Theologie hat Kirche viele Menschen verloren. Sie bleiben ihr fern. Anstatt Kirche zu reformieren sagen sie sich vom Glauben los und schaden sich selbst am meisten damit.

Beziehungen und Prinzipien unterscheiden

Damit wir uns im Leben zurechtfinden können, müssen Beziehungen und Prinzipien unterschieden werden. Humanistisches Denken bietet dafür keine Handhabe, denn es denkt nur in Prinzipien. Künstler sind keine Philosophen. Sie kannten schon immer den Unterschied.

Michelangelo malte die Erschaffung Adams als Beziehung. Gott wendet sich Adam zu, schaut ihn an und streckt seine Hand aus. Adam reckt seinen Körper mitsamt der Hand Gott entge-gen, blickt ihm ins Angesicht, und die Fingerspitzen beider scheinen einander zu berühren.

Justitia als Verkörperung des Rechts und damit der Prinzipien wird anders dargestellt:
Sie trägt eine Binde vor den Augen und richtet ohne Ansehen der Person. In der einen Hand hält sie das Schwert, in der anderen die Waage. Abwägen ist ein abstrakter Vorgang wie auch Aufstellen und Anwenden von Prinzipien abstrakt sind. Da ist keine Hand frei, sie dem Anderen zu reichen. Wie sollte Justitia jemandem die Hand reichen, den sie nicht sieht.

 

Der Trick mit der Nächstenliebe

Ein beliebter humanistischer Trick ist, von Nächstenliebe zu reden anstatt vom Nächsten. Jesus hat nie von Nächstenliebe gesprochen, weil er etwas anderes meinte.
Bei Nächstenliebe geht es um meine Fähigkeit wie beim Rettungsschwimmen. Nächstenlliebe ist eine Verallgemeinrung, ähnlich wie Mutterliebe. In Wirklichkeit gibt es nur die Liebe einer Mutter zu ihrem eigenen Kind. Mit Verallgemeinerungen kann niemand heilen. Jesus heilte und wurde darum Heiland genannt.
Bei Liebe deinen Nächsten wie dich selbst geht es um den Nächsten, der mir vielleicht Angst macht, denn Angst vor Nähe ist weit verbreitet. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist es nachzulesen (Ev. Lukas. Kapitel 10 Vers 28-37). Mein Nächster ist der, dem ich barmherzig bin.