Jesus liebte den Nächsten.

Jesus hat keine Ideale gelehrt, sondern Gott und den Nächsten geliebt. Beide sind lebendig. Er hat nie von Nächstenliebe gesprochen. Nächstenliebe ist eine Begriffsbildung hellenistischer Theologie, die von Platon beeinflußt wurde. Ähnlich wie bei Rettungsschwimmen geht es bei Nächstenliebe um meine Fähigkeit - nicht um den Nächsten. In "Religion in Geschichte und Gegenwart" wie auch im "Evangelischen Kirchenlexikon" gibt es keine Artikel über den Nächsten. Theologen ist es nicht aufgefallen, weil in ihrer wissenschaftlichen Begrifflichkeit der Nächste nicht vorkommt.

Außerdem ist Nächstenliebe eine Verallgemeinerung, ähnlich wie Mutterliebe. In Wirklichkeit gibt es nur die Liebe einer konkreten Mutter zu ihrem Kind. Mit Verallgemeinerungen kann niemand heilen. Jesus aber war Heiland.

Psychoanalytisch gesehen sind Verallgemeinerungen Abwehrmechanismen, mit denen Betroffenheit abgewehrt wird. Der Nächste ist Superlativ von Beziehung. Bei Lukas ist der Nächste der, der barmherzig war. Den Nächsten finde ich bei Martin Luther und bei Martin Buber in seinem Buch "Ich und Du". Beziehungen sind nicht Gegenstand philosophischen und wissenschaftlichen Denkens Sie sind einmalig und unwiederholbar. Darum sind sie im wissenschaftlichen Experiment nicht nachweisbar. Beziehungen enthalten Kräfte, mit denen wir Menschen leben. Liebe knüpft Beziehungen, damit sie halten. Trauer löst abgestorbene Beziehungen, damit wir nicht an ihnen sterben. Beim Loslassen erleben Menschen Verzweiflung. Sie ist Schmerz des Loslassens und daher notwendig. Beschwichtigen hilft nicht, sondern die Verzweiflung des Andern wahrnehmen .